An meiner Bürowand schaue ich täglich auf die Zahl. Ich habe sie gross auf das Whiteboard geschrieben und sie wird jeden Tag um -1 aktualisiert. Die Zahl der verbleibenden Arbeitstage, und dann geht unser beider Arbeitsleben zu Ende. Parallel sind zuhause die Umzugskartons und Packlisten für die Seefracht nach Bangkok geliefert worden. Alles anders als noch vor einem Jahr geplant, alles neu, alles etwas durcheinander. Zweifel? Nein, Panik auch nicht - im Gegenteil. Aber ein etwas komisches Gefühl ist es schon, wenn man nach (bei mir) 39 Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet und parallel sein ganzes Leben neu sortiert. Vieles hat sich angesammelt, viele Dinge waren ein Teil von unserem Leben, haben uns über kürzere oder längere Etappen begleitet, sind gespickt mit Erinnerungen. Wir verlassen eine lieb gewonnene Komfortzone, wenn wir die priviligierte Schweiz bald verlassen und unser bisheriges Leben auf ein paar Kartons reduzieren.
Dazu gehören natürlich auch unsere Familien und treue Freunde, die uns über die Jahre stets begleitet haben und deren Verabschiedung nun immer näher rückt. Natürlich nur für ein paar Monate, aber wir rucken doch auf der Landkarte ein wenig zur Seite. Trotz all der Vorfreude sind auch oft nachdenkliche Stunden darunter. Die ersten Kleider und kleinen Dinge sind sehr schnell und schmerzfrei entsorgt worden. Dies hat unsere Vorfreude noch bestärkt und war zügig getan. Nun geht es langsam aber sicher ans wirkliche Loslassen von lieb gewonnenen Dingen und sorgfältige Abwägen, ob man dies und jenes tatsächlich noch braucht im "neuen" Leben. Unser Platz im Container ist begrenzt und der Transport ohnehin relativ teuer. Gestern habe ich in Zürich meinen letzten geomantischen Vortrag bei den Rutengänger-Kollegen gehalten und am Ende verkündet, dass ich den Verein verlassen und auswandern werde. Eine Kiste mit meinen Lieblingsbüchern zu diesen Themen habe ich als Spende übergeben - leichten Herzens und im Wissen, dass sie in die richtigen Hände gelangen.
Ein erster Abschied, die ersten besten Wünsche für die Zukunft und die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Das wird uns in der nächsten Zeit noch öfter widerfahren. Kleine Stiche und das Gefühl von Endgültigkeit haben mich auf der Heimfahrt begleitet. Wir müssen uns daran gewöhnen.
Dann kam mir der Inhalt meines Vortrages wieder in den Sinn. Eines der ätherischen Gesetze lautet: Die Energie folgt der Aufmerksamkeit - und die Aufmerksamkeit folgt der Energie. Dies ist ein universelles Gesetz, und mit diesem einen Satz ist schnell erklärt, warum es so schwer ist, etwas loszulassen. Die Lösung liegt ebenso in diesem Ansatz. Wenn wir nämlich einen Gegenstand oder einen Gefühlszustand immer wieder in unser Bewusstsein holen, kommen alle Erfahrungen, Emotionen und Erinnerungen dazu und lassen einen inneren Film ablaufen. Dies, obwohl sie mit der aktuellen Situation rein gar nichts mehr zu tun haben.
Die Aufmerksamkeit folgt der Energie, also warum wenden wir uns nicht einfach konsequent den aktuellen Themen zu? Was gestern war, können wir nicht mehr ändern. Wir haften energetisch gerne an unseren Erinnerungen, aber diese haben uns nur dahin gebracht, wo wir heute stehen. Ihr Werk ist getan und wir dürfen durchaus auch mal einige überflüssigen Fäden durchschneiden, um Ballast abzuwerfen. Oder wie es bei einem Chinesischen Philosophen heisst: "Leere erst den Krug, sonst ist kein Platz für frisches Wasser." Das heisst keinesfalls, dass wir unsere teuren Erinnerungen verwerfen und löschen sollten. Nein, wir sollten sie von oben betrachten und weder bewerten noch betrauern. "Ja, so war es - und das hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Jetzt gehts weiter! Ich stehe am Morgen auf und beginne den Tag mit dem ersten Wimpernschlag als den jetzigen Augenblick. Ein erster bewusster Atemzug am Morgen, der einen Tag einläutet, der gestern noch Rauch war und morgen wieder Rauch sein wird. Er eröffnet mir alle Möglichkeiten, etwas daraus zu machen und glücklich zu sein, denn das liegt ganz allein an mir selbst. Ich treibe auf dem Rücken in ruhigen Fluss meines Lebens. Ich treibe so schnell wie der Fluss fliesst, und ich kann das Ufer vorbeiziehen sehen. Nichts wiederholt sich, jede Sekunde ist einmalig. Welcher Frieden, welche Summe an Möglichkeiten!"
Die Energie folgt der Aufmerksamkeit. So fokussieren wir uns in Leichtigkeit und Vertrauen auf den Moment, auf das Notwendige, auf das, was uns ausmacht. Dazu braucht es weder Schmuck noch Bücher noch Italienische Schuhe :-) Und schon kehrt sie wieder ein, die Leichtigkeit beim Loslassen und Aussortieren, beim Verschenken und Wegwerfen. Beim Entrümpeln unserer Leben - und beim Leeren der Krüge in der Bereitschaft und Freude auf das Neue.
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