Hier folgt eine Bildreportage zum Schmunzeln und Nachdenken von Sandra. Text und Fotos sind von ihr - danke fürs Lesen!
Wir Eidgenossen sind ja eher ein konzeptionelles Volk. Ich denke, Wilhelm Tell war der letzte seiner Art, der den Pfeil gezwungenermassen unbedacht, und quasi auf gut Glück, Richtung Apfel und Sohn abschoss. Nach diesem knapp ausgefallenen Glückstreffer besann sich das Schweizervolk auf Planung, Perfektion, Konzept und Kontrolle. Nicht das der alte Tell damals andere Gene intus gehabt hätte, nein, auch er hatte einen Plan. Einen Plan B, was der zweite Pfeil in seinem Köcher bewies.
Die Thailänder sind Tell nicht unähnlich. Sie ergeben sich den Umständen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Doch anders als bei Tell ist ihre Präzision manchmal nicht so treffsicher und oft haben sie keinen Plan B. Konkret bedeutet dies, dass sie natürlich die ganze Aufmerksamkeit auf «Plan A» lenken müssen. Dadurch kommen sie auch nicht so leicht in Versuchung, aufzugeben und das süsse Dolcefarniente zu geniessen. Denn wer den Rettungsanker, also Plan B, laufend als Alternative geboten bekommt, dessen Motivation auf Kurs zu bleiben, ist nicht garantiert.
Durch das Fehlen eines Plan B’s sind die Thailänder Meister der Improvisation geworden. Sie halten an dem fest, was sie haben. Sie halten instand und reparieren. Den Basteltrend «Do it yourself» haben sie erfunden! So vergeht in Thailand keine Minute, in der ich nicht darüber staune, mit welcher Natürlichkeit und mit was für einfachen Mitteln sie ihre effizienten Basteleinsätze durchführen. Und ja, sie vertrauen einander.
Sie vertrauen darauf, dass der Arbeitskollege das Seil fest in den Händen hält, an dem man an der Fassade hochgezogen wird.
Sie vertrauen darauf, dass der Freund, die korrekte Leiter stabilisiert. Nämlich die, auf der sie stehen und an den Kabeln hantieren.
Ich schlendere durch die Strassen von Hua Hin und staune über die Elektriker, die hoch oben in den Masten baumeln, und darüber, dass sie sich im Gewühl der 1'000 Kabel überhaupt noch auskennen. Und ich frage mich, wer denn da den Strom von wem bezieht und wer denn da überhaupt die Stromrechnung bezahlt. Es ist unglaublich, wie sich die Kabel, ähnlich wild gewachsener Lianen, von Haus zu Haus ziehen und Balkone und Fenster komplett überwuchern. Die Leute akzeptieren dies einfach. Da macht anscheinend niemand Einsprache bezüglich Elektrosmog oder Wertverminderung der Wohnung.
Ich glaube, dass in einem System, das quasi keine Regeln und soziale Auffangnetze kennt, wie von selbst ein strukturierter Organismus entsteht. Der Selbsterhaltungstrieb dieses Eigenlebens ist hoch. Wenn das Grundsystem chaotisch ist, dann organisieren sich die Elemente darin. Und genau das passiert in Hua Hin an jeder Ecke. Die Leute organisieren sich, tun was gerade notwendig ist, damit das Leben weitergeht. Ihr Motto: Es gibt immer einen Weg!
Da setze ich mich auf eine Strandliege und staune, dass diese «ich glaub, ich nagle hier noch eine Verstärkung hin-Konstruktion» auch wirklich mein europäisches Gewicht aushält
Ich drücke dem Traktorfahrer, der gerade mit seiner Rostlaube über den feinen Sandstrand fährt, ganz fest die Daumen, dass das Seil die Achse bis zum Feierabend oben hält
Ich geniesse den Anblick von einfachsten Sicherungsmitteln. Teure Diebstahl-Versicherungspolicen finden hier keine Abnehmer. Da werden sogar Flipflops gesichert.
Das Food Festival wird mit einfachen Mitteln umgesetzt. Es braucht keinen hightech-foodtruck oder teuren Standplatz dazu. Einfachheit ist angesagt.
Mofas werden bis zum Umfallen beladen. Die Lieferkette ist gewährleistet.
Dienstleistungen werden direkt dort erbracht, wo die Kunden sich aufhalten. Notfalls einfach draussen auf dem Trottoir.
Unglaublich, aber wahr. Schlussendlich funktioniert es - irgendwie. Improvisation, Vertrauen und Tun zeichnet das Leben aus. Just do it.
Ich wünsche Ye-Soon und Horst noch ganz viele tolle Erfahrungen in Thailand. See you soon.
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